Samstag, 6. September 2008

Stand der Dinge - nur lesen, wenn es dich wirklich interessiert


Mittlerweile zähle ich nicht mehr die Tage und auch nicht mehr die Wochen. Ich lebe wieder relativ normal meinen Alltag und lache auch wieder viel. Wenn man es nicht wüsste, könnte man wahrscheinlich Zeit mit mir verbringen und würde nicht merken, dass ich das schlimmste halbe Jahr meines Lebens hinter mir habe und es mich immer noch große Mühe kostet wieder am Leben teilzunehmen.
Mein großer Bruder. Jeden Tag denke ich an ihn und er fehlt mir. Ganz enorm. Ich gewöhne mich nicht daran, dass er tot ist. Ich glaube, wenn ich 60 bin und er schon 30 Jahre tot ist, werde ich ihn immer noch vermissen. Das kann man vermutlich nur verstehen, wenn man selber so etwas schon erlebt hat. Es ist jetzt nicht alles gut, nur weil ein paar Monate vergangen sind und ich ein tolles Baby habe, ich mein Sozialleben soweit wieder aktiviert habe und wieder am Leben teilnehme. Fragen wie "Ach, bist du immer noch traurig??? Aber wieso denn?" (mit großer Verwunderung gestellt!!), möchte ich nicht beantworten müssen. Das tut richtig schlimm weh. Ich möchte nicht erklären müssen, dass mir Garrys Tod zu schaffen macht. Trauer funktioniert nicht logisch und auch nicht nach dem Motto "Je weiter weg, desto besser". Ich sitze immer noch ab und zu in der Bahn oder im Bus oder gehe durch Penny und muss auf einmal weinen und kann nicht aufhören.
Ich kann nur so den Tipp geben - wenn man nicht weiß, was man jemandem sagen soll, der gerade eine nahe stehende Person verloren hat, dann ist es besser das auch zuzugeben. Es ist viel besser zu sagen "ich weiß nicht, was ich sagen soll" als "das Leben geht weiter" oder "naja, dann musst du dir jetzt ja keine Sorgen mehr machen" oder oder oder. Denn wenn wir mal ehrlich sind - man weiß doch nicht, was man sagen soll. Oder?? Ich wusste ja auch nicht, was ich sagen soll und weiß es immer noch nicht. Oder ganz schlimm war auch "aber guck mal, du bekommst ein Baby!" - das wusste ich selber, das ich ein Baby kriege! Muss man mir nicht sagen. Oder mir was von "Guck mal, dein Bruder lebt jetzt in deinem Baby weiter" - da krieg ich Kretze!!! Nicht so einen Scheiß reden!!
Sorry, ich will jetzt hier auch nicht so rumzetern oder so. Alles in allem habe ich so viele tolle Leute um mich herum gehabt!!! Das Haustreffen!!! Wedes, Woods, Wieneckes, Neubauers ... echt so geil!!! Aber diese dummen Äußerungen, die waren ganz schlimm für mich. Es ist ganz schlimm, wenn man sich unverstanden fühlt oder das Gefühl vermittelt bekommt, man würde "übertreiben" oder "selbstmitleidig" sein.
Trotz allem habe ich Frieden mit Gott. Ich bin so dankbar! Ganz klar hatte ich den coolsten großen Bruder, den man haben kann. Ihm habe ich zu verdanken, dass ich mit 8 nicht Kinderlieder, sondern Depeche Mode gehört habe. Er hat mich mit 9 in seine zerissene Levis Jeans gesteckt und mir Chucks angezogen damit ich cooles aussehe. Mit ihm bin ich auch mit 5 vom Fünfer gesprungen. Er hat mich mit Klamotten unter die Dusche gestellt und übern Balkon gehalten. Kein Wunder, dass ich so adrenalingeil geworden bin.
Der Tod ist einfach nicht zu begreifen. Ich kann nicht fassen, dass ich jetzt nur noch Erinnerungen habe und habe Angst, dass ich seine Stimme vergesse.
Menschen haben den Tod nicht überwunden, aber Jesus schon und irgendetwas in mir sagt mir, dass ich diese göttliche Perspektive auf das Thema Tod bekommen muss.

3 Kommentare:

Jocky hat gesagt…

Danke, Kim, dass du das mit uns teilst. Wenn ich eines weiß, dass jeder ganz individuell Schmerz empfindet und trauert... und dass er ein Recht drauf hat, so zu empfinden. Keiner kann einem vorschreiben, wie das zu sein hat.

Ich bete immer noch so gut wie jeden Tag für dich!

mesii hat gesagt…

ja ich kann das verstehen, alles!

Anonym hat gesagt…

Wir kennen uns nicht, aber ich lese seit einigen Monaten Deinen Blog. Als meine Tante, die mir näher steht als meine Eltern, damals nach einer dreckigen,langen Krankheit gestorben ist habe ich auch viele Sprüche hören müssen ("Jetzt geht es ihr besser" usw.), ich weiß, wie weh die tun.
Das ist jetzt 2,5 Jahre her.
Der Schmerz verändert sich mit der Zeit, er wird nicht wirklich weniger, sondern Teil meines Lebens. Was ich sehr schön finde, ist, dass mit der Zeit immer mehr schöne Erinnerungen zurück kamen. Und diese Sonnenstrahlen von zuversichtlichen Momenten; ich kann es nicht besser beschreiben.
Liebe Grüße!